Ihr Kind ist “heikel”? Daran könnte es liegen


“Meine Suppe ess ich nicht.” Dass es auf lange Sicht nicht gesund ist Essen zu verweigern, demonstriert anschaulich, wenn auch etwas überspitzt, der “Suppenkasper”. Woran aber liegt es, wenn ein Kind bei den Mahlzeiten streikt? Ist der Sprössling schlicht und einfach heikel? Oder liegt der wahre Grund vielleicht tiefer verborgen? Und wie kann man als Eltern gegensteuern?

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“Es kann verschiedenste Gründe haben, wenn ein Kind Essen verweigert”, weiß die Ernährungsexpertin Angelika Kirchmaier. Da wäre zum Beispiel die Umgebung. Für das Kind unangenehme Gesprächsthemen bei Tisch können ihm schlichtweg den Appetit verderben. Etwa ein Streitgespräch zwischen den Eltern oder die Diskussion über den Fünfer in der Schule. “Stellen Sie sich vor, Sie sitzen bei Tisch und Ihr Chef sitzt Ihnen mit erhobenem Zeigefinger gegenüber”, veranschaulicht Kirchmaier die spannungsgeladene Situation.

Warum die Umgebung so wichtig ist

Ebenfalls in die Kategorie Umgebung fallen die Essutensilien. So empfiehlt es sich beispielsweise nicht, einem Kind, das ohnehin schon sehr verspielt ist, seine Mahlzeit auf einem Teller zu servieren, über den ein ganzer Trupp an bunten Männchen tanzt. “Hier kommt das Kind nicht zum Essen, weil es immer abgelenkt ist”, gibt die Expertin zu bedenken. Dagegen kann ein bunter Teller bei einem Kind, “das beim Essen fast einschläft”, positiv belebend wirken. Oder aber den kleinen Esser überhaupt erst zu Tisch locken.

»Stellen Sie sich vor, Sie sitzen bei Tisch und Ihr Chef sitzt Ihnen mit erhobenem Zeigefinger gegenüber«

Wobei sich der Begriff Umgebung nicht nur auf den unmittelbaren Essbereich beschränkt. So berichtet Kirchmaier von Kindern, die im Kindergarten aufs Essen verzichten, um nicht auf die schmutzige Toilette gehen zu müssen. Ganz nach dem Motto “Wenn ich nichts esse, muss ich auch nicht aufs Klo”. Oft liegt es also gar nicht daran, dass der Nachwuchs heikel ist. Vielmehr bestimmt das Rundherum das Essverhalten. So viel zur Umgebung, die sich zumindest bis zu einem gewissen Grad den Erfordernissen entsprechend umgestalten lässt.

Wenn das Kind nie schmecken gelernt hat

Schon um einiges schwieriger ist die Sache, wenn das Kind nie richtig schmecken gelernt hat. “Unser Gehirn muss die einzelnen Aromastoffe im Langzeitgedächtnis abspeichern.” Erst mal abgespeichert, bleiben die Informationen ein Leben lang bestehen. Und beeinflussen unser Essverhalten nachhaltig. Ein Beispiel: Eine Erdbeere beinhaltet ein paar hundert verschiedene Aromastoffe. Sie formen das geschmackliche Gesamtbild. “Das Gehirn registriert diese bunte Palette und speichert sie ab.” Nicht gleich nach dem ersten, aber vielleicht nach dem vierten, fünften Mal.

Ein Mädchen isst Erdbeeren © iStockphoto.com

Während nun ein Kind, das ein mit echten Erdbeeren verfeinertes Naturjoghurt serviert bekommt, gleich ein paar hundert Aromastoffe abspeichern kann, werden einem Kind, das ein mit künstlichem Aroma versetztes Erdbeerjoghurt löffelt, nur rund zehn verschiedene Aromastoffe zuteil. Dabei gilt: Denn je größer die Vielfalt abgespeicherter Aromen in der Kindheit, desto offener ist man künftig für weitere Aromen. Oder anders herum: Je weniger Aromen man als kleines Kind kennengelernt hat, desto heikler ist man später.

So früh beginnt die Geschmacksbildung

Heikel sind mitunter auch jene Kinder, die nicht oder nur kurz gestillt wurden. Die Geschmacksstoffe der Lebensmittel, die die Mutter zu sich nimmt, gehen in die Muttermilch über. So schmeckt sie von mal zu mal anders. Dagegen kann gekaufte Säuglingsnahrung, die immer gleich schmeckt, dem Kind nicht die Bandbreite an Geschmäckern vermitteln. Im Grunde beginnt die Geschmacksbildung aber schon in der Schwangerschaft: Die Aromastoffe dessen, was die Mutter isst, gehen ins Fruchtwasser über und liefern dem Baby einen ersten Vorgeschmack auf das, was es später erwartet.

Etwa jedes zehnte Kind entwickelt rund um sein zweites Lebensjahr eine Abscheu gegenüber Obst und Gemüse. Dieses Phänomen dürfte evolutionär bedingt sein und eine Art Schutzmaßnahme darstellen, um nicht versehentlich etwas Giftiges zu essen. In der Regel legt sich dieses Verhalten mit dem siebten, achten Lebensjahr wieder. Vorausgesetzt das Kind bekommt die entsprechenden Lebensmittel immer wieder aufs Neue angeboten. Ist das nicht der Fall, kann es sein, dass das Kind Obst und Gemüse sein Leben lang verweigert.

Anbieten, anbieten, anbieten

Anbieten ist übrigens eines der Zauberwörter, wenn es darum geht, einem Kind ein Lebensmittel schmackhaft zu machen. “Ein Lebensmittel muss mindestens 15 Mal angeboten werden. Ohne Druck und Zwang”, rät die Ernährungsexpertin. Das Kind soll es kosten und auch wieder ausspucken dürfen, wenn es ihm nicht schmeckt. Mindestens acht Mal muss das Kind das Lebensmittel positiv assoziieren. “Dann beginnt es das Lebensmittel im Gehirn abzuspeichern und irgendwann schmeckt es ihm dann auch.”

»Ein Lebensmittel muss mindestens 15 Mal angeboten werden. Ohne Druck und Zwang«

Positiv assoziieren wiederum kann ein Kind ein Lebensmittel etwa dann, wenn es ihm auf eine leichte, spielerische Weise präsentiert wird. So schmeckt der Apfel vielleicht besser, wenn er auf einem mit roten Herzen verzierten Teller serviert wird, die Karotte, wenn sie von einer Hand gereicht wird, der zuvor ein Tigerhandschuh übergestreift wurde, und die Gurke, wenn es strikt verboten wurde, von ihr zu naschen. Nur einen Moment hat Mama oder Papa den Blick vom Teller abgewendet und – Na sowas! – schon fehlt eine Scheibe.

Ein Tipp für besondere Härtefälle

Hilfreich ist es auch, das Kind aktiv an der Zubereitung teilhaben zu lassen. “Es soll sich aussuchen könne, was es gerne hat, und selbst ein bisschen schnippeln.” Für besondere Härtefälle hat Kirchmaier folgenden Tipp: “Wenn das Kind gar kein Obst und Gemüse essen will, dann muss man ihm eine Starthilfe geben.” Einen Hauch Staubzucker auf die Gurke, Honig auf den Paradeiser oder etwas Pudding auf den Apfel. Je nachdem, was das Kind besonders gerne mag. Klingt gewöhnungsbedürftig, aber funktioniert.

Ein Bub will kein Gemüse essen © iStockphoto.com

Manchmal ist es auch weniger der Geschmack als die Konsistenz, vor der es dem Kind graust. In dem Fall ist elterliche Kreativität gefragt. Kirchmaier rät, das entsprechende Lebensmittel so unters Essen zu mischen, dass es das Kind nicht merkt. Anfangs ganz wenig, dann ein bisschen mehr. Und ja nicht darüber sprechen! So würde sich das Gehirn nach und nach an das Lebensmittel gewöhnen. Wichtig dabei ist, sich beim Schummeln nicht erwischen zu lassen. “Sonst ist nicht nur der Plan zum Scheitern verurteilt, sondern auch das Vertrauen verloren.”

Essen als Machtfaktor

Last but not least wäre da noch die Möglichkeit, mit dem eigenen Essverhalten Macht auszuüben. “Es gibt wenige Dinge, bei denen sich Kinder entschieden weigern können. Eines davon ist das Essen”, erklärt die Psychotherapeutin Mag. Martina Bienenstein. Kirchmaier zufolge geht es hier in erster Linie darum, sich zu behaupten. Sie empfiehlt, die abgelehnten Lebensmittel – meist Obst und Gemüse – als unwichtig darzustellen. “Dann ist es für das Kind nicht mehr so interessant, es zu verweigern – und schon ist der Obstteller leer.”

Apropos Obstteller: Der sollte sowieso nach jedem Mittagessen auf dem Tisch stehen. So wächst das Kind schon automatisch in das erwünschte Essverhalten hinein. Wobei die Vorbildfunktion der Eltern nicht zu unterschätzen ist. “Ich kann von meinem Kind nicht verlangen, dass es die Karotte isst, und selbst sage ich: ‘Wäh, das kommt mir nicht auf den Teller’.” Die Eltern gestalten das Geschmacksempfinden des Kindes von klein auf mit. Auf sämtlichen Ebenen. Und dessen sollten sie sich stets bewusst sein.

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© Video: G+J Digital Products

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