Menschen mit Krebs haben nicht nur mit schmerzhaften Therapien und einem enormen, emotionalen Leidensdruck zu kämpfen. Häufig schränken Veränderungen, die eine Krebserkrankung mit sich bringen, die Lebensqualität zusätzlich ein. Darüber zu sprechen, trauen sich aber nur wenige. “Sehr oft sind PatintInnen der Ansicht, sie hätten keinen Anspruch mehr auf Schönheit oder Ästhetik”, erklärt Priv. Doz. Dr. Christiane Thallinger von der Onkologie am AKH Wien. “Doch eine gute Lebensqualität ist essentiell, um sich solch großen Herausforderungen zu stellen und die Krankheit zu besiegen.” Deswegen wurde vor ungefähr einem Jahr eine Ambulanz für Hautnebenwirkungen am AKH eingerichtet. Dort kümmert sich Dr. Thallinger um Haarausfall, Narben oder Nagelveränderungen. Im Interview mit WOMAN erklärt sie, warum es so wichtig ist, Krebspatientinnen das Recht auf Schönheit zu geben.
WOMAN: Frau Dr. Thallinger, Sie leiten am AKH Wien die Ambulanz für Hautnebenwirkungen bei Krebspatientinnen. Was wird in dieser Ambulanz genau gemacht?
Dr. Thallinger: Die Ambulanz für Hautnebenwirkungen und Extravasate wurde für alle KrebspatientInnen mit Veränderungen/Nebenwirkungen an Haut, Haaren und Nägeln während und nach ihrer Krebstherapie eingerichtet – unabhängig von der Art der Krebserkrankung. Ziel ist es, Nebenwirkungen der Krebstherapie, wie Haarausfall, Verlust/Veränderungen der Fingernägel, oder Infektionen/Entzündungen der Haut etc. zu diagnostizieren, zu therapieren und PatientInnen den Leidensdruck dieser Nebenwirkungen zu reduzieren.
WOMAN: Was bedeuten solche Nebenwirkungen, wie Haarausfall oder Hautveränderungen für die Patientinnen?
Dr. Thallinger: Nur ein Beispiel: In internationalen Studien wurde belegt, dass der Haarausfall für PatientInnen das traumatischste Erlebnis einer Nebenwirkung im Rahmen ihrer Krebserkrankung war und 8% der Frauen auf eine Krebstherapie verzichten, weil sie Angst vor den Nebenwirkungen haben.
WOMAN: Die Ambulanz hat vor einem Jahr eröffnet. Wer nimmt euren “Service” in Anspruch?
Dr. Thallinger: Zum Beispiel junge Mütter, die für ihre Kinder gesund aussehen möchten. Frauen, die nicht durch die Krankheit stigmatisiert werden wollen. Können Sie sich vorstellen, wie schwer es ist, sich eine Hose anzuziehen, wenn alle Finger von einer massiven Nagelbettentzündung betroffen sind?
WOMAN: Sie haben erzählt, dass viele Frauen und Männer, die Krebs haben oder hatten, sich oftmals gar nicht trauen auf ihre Ästhetik wert zu legen. Woran liegt das?
Dr. Thallinger: Eine gängige Einstellung ist, dass Krebspatienten sich primär ihrer Krebserkrankung stellen sollten. Nebenwirkungen (deshalb heißen sie wohl auch Nebenwirkungen) werden als nachrangig erachtet. So sehen das naturgemäß auch noch viele Onkologen.
Allmählich zeigt sich aber ein Umdenken. Nicht nur das reine Überleben zählt, sondern das lange, nebenwirkungsarme Überleben mit lebenswerter Qualität.
WOMAN: Warum ist es so wichtig, dass es diese Einrichtung am AKH gibt?
Dr. Thallinger: Sehr oft sind PatientInnen der Ansicht, dass sie keinen Anspruch mehr auf Schönheit und Ästhetik hätten. Doch jeder Mensch kann und soll sich (auch wenn schwer erkrankt) in seiner Haut wohl fühlen. Eine gute Lebensqualität ist essentiell, um sich größeren Herausforderungen zu stellen.
WOMAN: Werden hier auch Kurse gehalten, wie man sich z.B. richtig schminkt?
Dr. Thallinger: Wir sind am erarbeiten von Konzepten und versuchen durch Kooperationen mit Visagisten und Stylisten aber auch mit Kosmetikkonzernen Workshops anzubieten.
WOMAN: Welche Möglichkeiten gibt es zum Beispiel für Patientinnen, die keine Brustwarzen mehr haben?
Dr. Thallinger: Brustwarzen können auf verschiedene Arten wiederhergestellt werden. Neben einem plastisch chirurgischen Ansatz gibt es auch die Möglichkeit Brustwarzen zu tätowieren. Welcher Zugang angewendet wird, hängt von der individuellen Situation ab.
WOMAN: Welche Unterstützung brauchen Sie im Moment in der Ambulanz?
Dr. Thallinger: Kooperationen mit Visagisten, Stylisten, Tätowierer aber auch Perückenhersteller sind essentiell, um den PatientInnen für beinahe alle „Probleme“ Hilfe anbieten zu können.