Man suchte neue Stars, er gab ihnen den Typ von nebenan. Man schimpfte ihn Langweiler, er gewann Grammys. Wie wurde Ed Sheeran bloß zum Popstar?
Ein kleiner, rothaariger Typ mit Bart und Bauchansatz sitzt da im gänzlich glamourfreien, rustikalen Ambiente eines Landgasthauses und lacht für ein Handyfoto. In jeder Hand ein großes Bier, auf dem Teller ein Wiener Schnitzel mit Pommes. So feierte der laut Musikfachpresse wichtigste Popstar des Jahrzehnts Mitte Februar seinen sechsundzwanzigsten Geburtstag, völlig unerkannt, in Österreich. Unter anderem, weil er das Essen so liebt. “Kein Scherz. Ich habe nirgends auf der Welt je so gut gegessen wie in Österreich”, sagt er im Interview. “Außerdem sind die Menschen hier sehr höflich. Ich werde nie belästigt.” Vermutlich erkennt die Mehrheit der Österreicher den zweifachen Grammy-Gewinner einfach nicht als Star, aber das kratzt nicht an seinem Künstler-Ego. “Im Gegenteil, das ist mein Idealzustand: Alle lieben meine Songs, aber niemand erkennt mich!”
Ed Sheeran könnte auch anders. Nach einer Jugend als kleiner, rothaariger Außenseiter mit Gitarre hat der Brite heute einen fixen Platz am Tisch der coolen Kids wie Taylor Swift und Justin Bieber. Man kennt einander vom Arbeiten und Abhängen auf Partys. Mit Swift sang er ein Duett und war auf US-Tour. Bieber verdankt ihm den Hit “Love Yourself”. Sheeran hatte den Song aus dem eigenen neuen Album ausgemustert. Bieber holte mit der Ausschussware eine Grammy-Nominierung und die Nummer-eins-Platzierung in den US-“Billboard”-Jahrescharts 2016.
Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass seit fünf Jahren alles, was der 26-Jährige mit den 20 Millionen verkauften Alben anfasst, zu Gold, oder besser: zu Platinalben wird. Mit den Vorboten zu seinem neuen, dritten Album “÷” (ausgesprochen “divide”) hat er es eben erst wieder bewiesen. Entgegen der Branchenregel, immer nur ein Lied als Single zu veröffentlichen, um deren Erfolg nicht durch ein Überangebot zu gefährden, brachte Sheeran im Jänner zwei Songs gleichzeitig auf den Markt. Prompt besetzte er mit “Shape Of You” und “Castle On The Hill” in mehr als 35 Ländern gleichzeitig Platz eins und Platz zwei der Charts; in Zahlen bedeutet das neun Platinauszeichnungen und fünfmal Gold.
Unbeeindruckt vom Erfolg
Andere wären auf dem Weg des Jungen aus der englischen Kleinstadt Framlingham, 170 Kilometer südwestlich von London, zu Zynikern oder Größenwahnsinnigen geworden. Denn vor dem Welterfolg kam das Leiden. Und wer eine halbwegs normale Teenagerzeit hatte, kennt die emotionalen Abgründe des Wortes Weltschmerz. Sheeran verwandelte sie schon mit 13 Jahren in Lieder. Der Sohn eines Kunstkurators und einer Schmuckdesignerin war rothaarig, unsicher, unattraktiv (wie er selbst sagt) und schrieb Lieder über seine Gefühle, statt in einer Led-Zeppelin-Coverband zu spielen, wie es sich damals gehörte. Mit den Eltern und dem älteren Bruder Matthew, der heute als Komponist arbeitet, fuhr er zu Bob-Dylan- und Paul-McCartney-Konzerten und verbrachte viel Zeit beim Großvater in Irland. Genug Stoff für gleich mehrere Außenseiterrollen.
Als er anno 2008 mit 17 Jahren nach London zog, um seine Musik auf Straßen und in Pubs berühmt zu machen, wurde es zunächst nicht besser. Er spielte unzählige Konzerte, veröffentlichte auf eigene Kosten EPs und stellte seine Songs auf Youtube. Nach zwei Jahren hatte er Schauspieler Jamie Foxx und Superstar Elton John als Fans gewonnen und einen Plattenvertrag unterschrieben. Seine erste Single “The A Team” über das triste Leben einer jungen Prostituierten ging weltweit durch die Decke, das erste Album “+” (ausgesprochen “plus”) verkaufte sich rasant. Die Häme blieb. “Schnarchnasen-Pop” oder “Anführer der neuen Langeweile” urteilte die Fachpresse. Der britische “NME” rief zu einem Twitter-Bewerb mit dem Hashtag #howshitisedsheeran auf.
© Warner Music
Statt großmäulig oder beleidigt reagierte der neue Star damals schulterzuckend. “Ich habe Schlimmeres erlebt. All das kenne ich aus meiner Schulzeit in- und auswendig.” Selbst als er begann, Awards und Platinplatten abzustauben, für die Queen bei deren Diamantjubiläum auftrat und Taylor Swift anrief, blieben dem einstigen Außenseiter großkotzige Racheansagen oder trotzige Machtdemonstrationen fremd. Unbeeindruckt von der Kritik wie auch vom eigenen Erfolg machte Sheeran einfach weiter. “Mein Vater hat immer gesagt: Egal, welchen Beruf du wählst, du musst hart arbeiten, um etwas zu erreichen. Warum sollte ein erfolgreiches Album daran etwas ändern”, erklärt Sheeran seinen stetigen Weg.
Also schrieb er weiter Songs zu perfekten Popharmonien und erzählte dazu vom Leben, dem eigenen und dem anderer, vom Siegen und Scheitern und von der Liebe. “Wenn ich keine Haare mehr habe und die Erinnerung mich verlässt, wenn niemand mehr meinen Namen kennt und meine Hände die Gitarre nicht mehr spielen können wie jetzt, wirst du mich immer noch lieben wie heute, das weiß ich”, ist so ein typischer Sheeran-Text, den Kritiker belächeln und Fans lieben. Er stammt vom zweiten Album “x” (ausgesprochen “multiply”), das den Erfolg des Debüts noch übertreffen konnte und den Sänger mit einem Vermögen von rund 60 Millionen Euro 2015 ins “Forbes”-Ranking hievte.
Star ohne Überraschungen
Vermutlich rührt ein Teil der Häme vom Unverständnis für den überwältigenden Erfolg eines Typen, der sich nie bemühte, zu sein oder auszusehen, wie es das Popstar-Regelwerk vorschreibt. “Ich habe mich wirklich nie um mein Image gekümmert”, sagt Sheeran. Er lümmelt in Jeans und T-Shirt mit angezogenen Knien auf einem Sofa und sagt: “Oder sehe ich vielleicht so aus?” Und muss selbst laut lachen. Dann ist er wieder konzentriert. Ganz bei der Sache. Bemüht, verstanden zu werden. “Macht das Sinn, was ich sage?”, hakt er sechs Mal im 20-minütigen Gespräch nach. “Als ich das erste Mal auf eine Bühne getreten bin, sagten alle: ‘Na, der sieht aber nicht aus wie ein Popstar.’ Heute bin ich ein Popstar, und die Industrie sucht plötzlich Sänger, die aussehen wie ich. Das zeigt doch, wie verrückt die Branche ist.”
Er lebe nach dem Motto, dass es keinen Schlüssel zum Erfolg gibt. Aber der Schlüssel zum Misserfolg sei es, allen gefallen zu wollen. Ed Sheeran lehnt sich nach vorn, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. “Schau, dich und mich gibt es nur einmal auf dieser Welt. Niemand kann so gut wir sein wie wir selbst. Ich habe erlebt, dass ich nur aus der Menge stechen kann, wenn ich ganz ich selbst bleibe.” – Sätze wie dieser fallen gerade beim jungen Publikum auf fruchtbaren Boden. Ed Sheeran ist der Typ, der aussieht wie sie, dieselben TV-Serien schaut, abends gern Pommes isst und im Pub Bier trinkt. Einer von ihnen, der bloß hin und wieder mit Taylor Swift abhängt.
Die Balance zwischen der Pop-Welt und der Pub-Heimat fällt ihm nicht schwer, sagt er. “Ich wohne in meiner Heimatstadt und mache zweimal im Jahr mit meinen Kumpels Urlaub. Am 4. Juli habe ich mit Taylor Swift gefeiert, und zwei Tage später war ich bei der Party eines Freundes. Es ist nett, auf Partys mit berühmten Menschen zu gehen und von ihnen akzeptiert zu werden. Aber es ist genauso wichtig, ein normaler 26-Jähriger zu sein, der in einem Kellerlokal mit Freunden abhängt.”
»Ruhm und Geld sind zerstörerisch. Ich habe nur noch zwölf Freunde«
Er tut das, weil er es kann. Während Fans von Lady Gaga oder Robbie Williams beim persönlichen Treffen kreischen oder sprachlos erstarren, klopfen Fans von Ed Sheeran ihm auf die Schulter und wollen tratschen. Angenehm.
Auch für Paparazzi ist er kein interessantes Objekt. “Wenn Justin Bieber beim Haschischrauchen erwischt wird, ist das eine Sensation, weil er immer gesagt hat, er nimmt keine Drogen. Ich habe mich nie anders dargestellt, als ich bin. Deshalb habe ich keine Überraschungen für die Presse zu bieten”, erklärt er.
Und, nein, der Erfolg habe bei ihm nie einen Höhenflug verursacht. Nur die Menschen in seinem Umfeld seien plötzlich seltsam geworden, sagt er. “Ich dachte immer, wenn du arm bist, hast du wenig Freunde, aber wenn du reich wirst, viele. Das Gegenteil ist der Fall. Ruhm und Geld haben eine zerstörerische Kraft.” Der Erfolg habe ihm gezeigt, wer seine wahren Freunde sind, sagt er. Aber da ist kein Bedauern, sondern bloß die Erkenntnis: “Heute habe ich etwa zwölf Freunde, aber die sind wie Felsen in der Brandung.”
Dann ist da die Frau an seiner Seite, Cherry Seaborn, die er aus der Schule kennt. Vor eineinhalb Jahren wurden die beiden ein Paar. Mit ihr träumt er laut von einer großen Familie und vielen Kindern. Ein beredter Gefühlsmensch also, wie ihn sich angeblich alle Frauen wünschen? “Ich fürchte, da muss ich enttäuschen. Ich bin privat nicht so eloquent wie in meinen Songs, sondern schüchtern. Ich würde nie in einer Bar zu einer Frau sagen: ‘Hey, I love the shape of you.’ Ich würde höchstens schaffen: ‘Hey, wie geht’s?’” – Sheeran hat Recht: keine Überraschungen.