Moscheenverein ATIB: Zugriff aus Ankara


Der türkisch-islamische Moscheenverein ATIB steht im Verdacht, in Österreich dubiose Tätigkeiten für Erdoğans Regierung ausgeführt zu haben. Woher stammt das Geld, mit dem Imame geleast und Immobilien gekauft werden?

Klasse 3-A, Klasse 3-B, Klasse 3-C. Es ist ein Dienstag im Jänner, um die Mittagszeit, als aus den Räumen im dritten Stock deutlich Kinderstimmen zu hören sind. Eine Lehrerin trägt vor. Allein, es handelt sich um keine Schule. Sagen die, die dafür verantwortlich sind. Koranvertiefung für die nächste Generation? Islamnachhilfe für Wiens türkischstämmige Jugend? Auf Nachfrage heißt es, wir hätten uns getäuscht. Koranunterricht gebe es hier nur an Wochenenden und in den Ferien.

Moscheenverein ATIB

© Matt Observe/News Das Angebot reicht von Koran- bis Violinunterricht

Das Gebäude in der Sonnleithnergasse in Wien-Favoriten sieht aus wie ein grauer, vergitterter Klotz. Unzählige blaue Vertikalstreben scheinen die Fassade und die mit Gardinen verhängten Fenster zu umklammern. Fast wie ein Bunker, der zwar äußerlich über die anderen Gebäude hinwegragt – sich innerlich aber abschirmt. Von welchem man die Sicht nach außen hat – in den man aber selbst nur schwer hineinschauen kann. Es ist der Hauptsitz der ATIB.

Moscheenverein ATIB

© Heinz Stephan Tesarek/News ATIB-Sitz in Wien-Favoriten

Seit Anfang Februar sieht sich die Türkisch-Islamische Union in Österreich (ATIB) mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Die ATIB ist ein Dachverband für 63 Moscheevereine mit insgesamt 65 Imamen. In Bezug auf die Mitgliederzahl kursieren nur Schätzungen, die aber zum Teil deutlich über 100.000 reichen. Damit ist ATIB der mit Abstand größte muslimische Verband Österreichs. Und offenbar ist er so etwas wie der verlängerte Arm des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan.

Vor allem der Nationalratsabgeordnete Peter Pilz von den Grünen lastet der ATIB einiges an: Der türkische Staat habe über die Religionsbehörde Diyanet in Ankara direkten Zugriff auf den Verein (siehe Grafik). Gläubige, die der Gülen-Bewegung angehören, sollen in Österreich überwacht und beim türkischen Staat angeschwärzt worden sein. Teilweise sollen österreichische Staatsbürger bereits Probleme bei der Einreise in die Türkei gehabt haben. Die ATIB verweigere sich der Integration. Sie sei ein “Tarnverein mit Scheinstatuten”. ATIB selbst weist alle Vorwürfe zurück.

Der ehemalige grüne Bundesrat Efgani Dönmez fragt sich: “Wie kann es sein, dass sich fremde Staaten – nicht nur in Österreich – über Jahre und Jahrzehnte derartige Strukturen aufbauen können, ohne dass zuständige Politiker und Behörden etwas mitbekommen? Das beängstigt mich! Entweder ist es Unwissenheit, Naivität oder Kalkül. Ich vermute Letzteres.”

Full-Service-Agentur

Ein Gang durch die ATIB-Zentrale in Wien-Favoriten führt von der Kantine im Erdgeschoß in die Moschee im ersten Stock. Darüber ist ein Veranstaltungssaal. Im dritten Stock befindet sich der Verwaltungstrakt mit eigener Beerdigungsabteilung, einem Pilgerreisen-Büro und einer Kulturabteilung. Und hinter einer schweren Flügeltür sind außerdem das Institut “Nokta”, das Kinderkurse zur Nachmittagsbetreuung anbietet, und die Klassenzimmer untergebracht. Im vierten Stock warten ein Kindergarten, ein Arzt, Gästezimmer und weitere Bildungsräume. Ganz oben: ein Studentenheim – für “Herren”. Das Haus ist sozusagen eine Full-Service-Agentur für Türken. Es wird ausschließlich Türkisch gesprochen.

Journalisten scheinen wenig willkommen. Bei einem Recherchebesuch im Jänner werden wir beim Betreten der großen Kantine im Erdgeschoß sofort in ein kleineres Esszimmer weitergeschoben. Dort findet gerade eine Obdachlosenspeisung statt. Erst nach beharrlichem Fragen gestattet man der Reporterin einen türkischen Kaffee in der Hauptkantine, in der sich zu dem Zeitpunkt ausschließlich Männer aufhalten. Auf großen Bildschirmen läuft der türkische Staatsfernsehsender TRT. Als wir mit einigen ins Gespräch kommen wollen, werden wir mit dem Hinweis, nur mit dem Obmann sprechen zu dürfen, drei Geschoße hinaufgeschickt. Dort gibt es kurze, hektische Telefonate, wenig später werden wir von Securitys flankiert. Sie weichen bis zum Verlassen des Gebäudes nicht mehr von unserer Seite.

Bei einem neuerlichen Besuch vor wenigen Tagen halten wir uns einige Zeit auf der anderen Straßenseite auf. Auch da dauert es nicht lange, bis sich – auffällig unauffällig – Männer um uns herum postieren, die erst wieder gehen, als auch wir aufbrechen. Was hat man zu verbergen?

Nichts, wenn man Yasar Ersoy Glauben schenkt. Die ATIB begreife sich als “Brückenbauer”, sagt der Leiter des zum Verein gehörenden Beerdigungsinstituts. Doch er sagt noch etwas anderes: Beim Vergleich “Trump oder Erdoğan”, den ja viele Kritiker äußern, müsse man sich doch einig sein, dass Erdoğan der deutlich harmlosere von beiden sei. Das sieht Efgani Dönmez kritischer: “Das Signal an Erdoğan und seine Ableger muss sein: Er hat sich mit den Falschen angelegt. Unser Rechtsstaat ist stärker als seine autoritären Sultanatsfantasien.”

Der äußere Anstrich, den sich die ATIB gibt, ist ein religiöser. Doch der Verein ist der türkischen Botschaft weisungsgebunden und steht damit im unmittelbaren Einflussbereich türkischer Behörden. Von der Struktur her wird das sehr unkompliziert gewährleistet: Der Obmann der ATIB ist nämlich gleichzeitig der Botschaftsrat für Religionsangelegenheiten der türkischen Botschaft in Wien. Und das wirft jede Menge Fragen auf: Wie viel Einfluss hat Ankara? Wie weit reicht Erdoğans Arm? Wie intensiv greift der ganz auf seinen Präsidenten ausgerichtete türkische Staat auf Österreich zu? Und woher kommt das Geld für den Verein, von dem Dönmez behauptet, es sei unmöglich, dass sich ATIB mit Mitgliedsbeiträgen von Gastarbeitern finanziere?

Moscheenverein ATIB

© Matt Observe/News ATIB-Sitz in Wien-Favoriten

Stolzer Immobilienbesitz

Arm ist die ATIB nicht, meint jemand, der einen gewissen Überblick in diesem Bereich hat. Das Vermögen zeigt sich in erster Linie am nicht zu knappen Immobilienbesitz, den der heimische Ableger des türkischen Staatsislams über die vergangenen zwei bis drei Jahrzehnte angesammelt hat. News stieß bei seinen Recherchen auf 27 Liegenschaften und elf Wohnungen, die dem in Wien angesiedelten ATIB-Dachverein gehören. Tatsächlich könnten es jedoch mehr sein. Die Immobilien finden sich in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark, Kärnten und Tirol. Mitunter handelt es sich dabei um komplette Grundstücke mit Gebäuden. Allerdings finden sich zum Beispiel auch fünf Wohnungen in Kitzbühel. Oft ist die örtliche Moschee auf diesen Liegenschaften untergebracht.

Das alles dürfte einen ordentlichen Batzen Geld wert sein. Im Grundbuch sind Höchstbetragshypotheken von insgesamt bis zu rund 18,5 Millionen Euro ausgewiesen. Dazu kommen aus früheren Jahrzehnten noch Pfandrechte von bis zu 21 Millionen Schilling (rund 1,5 Millionen Euro).

Nun heißt das nicht, dass diese Rahmenbeträge vollständig ausgenutzt sind. Es heißt aber, dass die jeweilige Bank den Immobilien – zumindest zum Finanzierungszeitpunkt – entsprechend hohe Werte zuerkannt haben dürfte. Diese könnten über die Jahre geringer geworden sein. Dass der Wiener ATIB-Dachverein auf einem ordentlichen Millionenvermögen sitzt, scheint jedoch klar.

Der größte Brocken unter den Realitäten ist wohl die ATIB-Zentrale im Wiener Bezirk Favoriten. Die ATIB hat die Liegenschaft im Jahr 2004 um 3,2 Millionen Euro gekauft. Die Finanzierung lief über die Denizbank. Der Wiener ATIB-Standort soll zum Bauzeitpunkt 2004 immer wieder von auffällig dicken Autos aufgesucht worden sein. Der ehemalige Grünen-Mandatar Dönmez erklärt mit Blick auf das Gebäude: “Da kann uns keiner erzählen, dass das nur mit Mitgliedsbeiträgen finanziert wird. Es liegt klar auf der Hand, dass aus der Türkei bzw. aus arabischen Golfstaaten Gelder hereinkommen und die Vertreter des politischen Islam in Österreich die Agenda ihrer Geldgeber übernehmen.”

News hat bei der ATIB nachgefragt, allerdings bis Redaktionsschluss keine Antwort erhalten. Übrigens auch nicht zu allen anderen Punkten, die seit Wochen öffentlich diskutiert werden.

Kreatives Imam-System

Wie sehr die ATIB als Schnittstelle zwischen Österreich und der Türkei auftritt, zeigt auch der Blick in die Vereinssatzung. So werden als ATIB-Ehrenmitglieder automatisch der Vorsitzende der Diyanet und sein Stellvertreter geführt, also die Spitze der türkischen Religionsbehörde mit Sitz in Ankara. In der Vergangenheit bezahlte ebenjene Behörde die direkt aus der Türkei nach Österreich eingeflogenen Imame, bis das neue Islamgesetz im Jahr 2015 der ausländischen Finanzierung ein Ende setzte. Diese Ehrenmitglieder aus der Diyanet haben in der ATIB dieselben Rechte wie ordentliche Mitglieder. Und sie sind, wie “Profil” zuletzt berichtete, gleichzeitig auch Mitglieder des ATIB-Aufsichtsrates. Das ist brisant. Wenn höchstrangige türkische Staatsbeamte im Aufsichtsgremium der ATIB sitzen, kann die türkische Religionsbehörde aus Ankara direkt Einfluss auf den größten muslimischen Verein Österreichs nehmen.

Wegen des neuen Islamgesetzes musste sich die ATIB eine kreative Lösung in Bezug auf die aus der Türkei kommenden Imame einfallen lassen. Diese werden nun “geleast”. Zu diesem Zweck soll ATIB einen Rahmenvertrag mit der Diyanet in Belgien abgeschlossen haben, die offiziell Dienstgeberin der Imame ist. Die ATIB kann, so ist zu hören, über Akontozahlungen nach Bedarf Imame abrufen, die dann aber auch in Österreich wohnen. Ausgeklügelt soll dieses System ein Wiener Anwalt haben, der der ATIB nahesteht.

Die ATIB geriert sich vordergründig als kultureller und sozialer Moscheenförderungsverein. Tatsächlich arbeitet sie aber auch eng mit der UETD zusammen (siehe Grafik), der Interessenvertretung von Erdoğans Partei AKP. Dies wurde besonders sichtbar, als 2016 nach dem türkischen Militärputsch binnen weniger Stunden Tausende Austrotürken fahnenschwingend durch Wien zogen.

Sonderprüfung

Die ebenso AKP-nahe ATIB fungiert also offenbar als Massenmobilisierungsstelle. Und sie schafft seit mehr als 25 Jahren Mechanismen für die Bildung einer Parallelgesellschaft, von deren Strukturen hierzulande bis dato nur wenige überhaupt gehört hatten. Die lange gewachsene Organisation und den professionellen Aufbau der ATIB könnte sich Erdoğan nun zunutze gemacht haben. Peter Pilz erhebt den Vorwurf der Bespitzelung und unterstellt der ATIB, wie er in zwei Anzeigen dokumentiert hat, mit dem türkischen Geheimdienst MIT unter einer Decke zu stecken. Inzwischen hat ATIB-Chef Fatih Mehmet Karadas, zugleich Religionsbeauftragter der türkischen Botschaft, Österreich verlassen. Bundeskanzler Christian Kern hat derweilen das Kultusamt mit einer Sonderprüfung der ATIB beauftragt. Es geht um mögliche verbotene Finanzströme aus dem Ausland.

Ein Blick in die Steuererklärungen der zigtausend ATIB-Mitglieder könnte jedoch ebenfalls für Erstaunen sorgen: Laut News-Informationen haben ATIB-Mitglieder in der Vergangenheit ihre Beiträge (dem Vernehmen nach etwa zwölf Euro pro Monat) für den Erdoğan-nahen Verein irrtümlicherweise von der Steuer abgesetzt.

Als Kirchenbeitrag.


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