Was sechs Jahre Krieg angerichtet haben


Sechs Jahre lang tobt nun bereits der Bürgerkrieg in Syrien. NGOs wie “Amnesty International” und “SOS-Kinderdorf” zeigen anlässlich des traurigen Jahrestages die dramatischen Folgen des Krieges auf: Mindestens 85 Prozent der Kinder in Syrien sind schwer traumatisiert. Immer noch werden tagtäglich straflos Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.

SOS Kinderdorf in Syrien

© SOS Kinderdorf Zerstörte Gebäude in Aleppo

Das Leid der Kinder

“Über ein Drittel der insgesamt rund zehn Millionen Kinder ist unter sechs Jahre alt und kennt nichts anderes als den Kriegsalltag, der aus Angst, Tod und Verlust besteht”, teilt Maya Alnashawati, Nothilfe-Koordinatorin der SOS-Kinderdörfer in Damaskus in einer Aussendung mit. 85 Prozent der Kinder in Syrien seien schwer traumatisiert.

SOS Kinderdorf in Syrien

© SOS Kinderdorf Kinder in Aleppo

Die Hilgsorganisation kennt das Leid der Kinder aus eigener Erfahrung. Mitarbeiter kümmern sich unter anderem an Standorten in Aleppo, Tartous oder Damaskus um hunderte kriegstraumatisierte Kinder. Es sind Schicksale wie jenes des kleinen Omran, dessen Foto 2016 um die Welt ging: Staubbedeckt und blutverschmiert sitzt der damals fünf Jahre alte Bub in einem Rettungswagen – sein Bild rührte und rüttelte gleichzeitig wach.

© Aleppo Media Center Omran nach einem Luftangriff auf das Viertel al-Qaterji in Aleppo

“Das was Kinder in Aleppo an schrecklichen Bildern und Leid gesehen haben, ist unvorstellbar. Die Last an traumatischen Erfahrungen, die schwer auf ihren Seelen lastet, braucht als Entlastung dringend psychologische Hilfe”, sagt Andreas Papp, Nothilfechef von SOS-Kinderdorf International in einer Aussendung. Papp war zwei Tage lang in Aleppo und hat dort die Großküche am Stadtrand besucht, in der täglich bis zu 18.000 warme Mahlzeiten ausgegeben werden. “Als wichtiges Angebot für Kinder haben wir auch Räume geschaffen, wo sie spielen, malen, musizieren, Sport betreiben können – und damit ihren Stress und ihre psychischen Belastungen abbauen und einfach wieder Kind sein können”, sagt Papp.

SOS Kinderdorf in Syrien

© SOS Kinderdorf Andreas Papp spricht vor Ort mit den Kindern

SOS Kinderdorf in Syrien

© SOS Kinderdorf Sport holt ein Stückchen Normalität zurück

»Wenn sie zu uns kommen, sind sie oft apathisch oder aggressiv«

Die Tagesstätten und Nothilfe-Einrichtungen der Organisation in Syrien sind derzeit völlig überlastet. Nur ein Bruchteil der Kinder, die dringend Hilfe brauchen, könnten laut Nothilfe-Koordinatorin Alnashawati auch erreicht werden. “Wenn sie zu uns kommen, sind sie oft apathisch oder aggressiv”, sagt sie. Viele Mitarbeiter seien trotz langjähriger Erfahrung immer wieder schockiert, was die Kinder durchmachen mussten.

SOS Kinderdorf in Syrien © SOS Kinderdorf

Alnashawati erzählt vom Schicksal eines Fünfjährigen, dessen Haus von einer Bombe getroffen wurde: “Seine gesamte Familie starb. Nur er überlebte in den Trümmern und wurde zwei Tage nach dem Angriff gerettet. Danach musste er mit ansehen, wie der Rest seiner Familie tot geborgen wurde. Am Anfang sprach er gar nicht. Jetzt, nach fast einem Jahr, spricht er, aber noch lange nicht altersgemäß. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, bis er sich normal verständigen kann.”

Es komme häufig vor, dass Kinder nach den traumatischen Erfahrungen zuerst mit niemanden reden, auch nicht mit anderen Kindern. Doch mit viel Einfühlungsvermögen und mithilfe von Trauma-Therapeuten gelinge es, zu den Kinern durchzudringen und ihnen neue Lebensfreude zu vermitteln. Die Expertin berichtet über einen Fall, der sich positiv entwickelt hat: “Ein 12-Jähriger konnte anfangs den Tod seiner Eltern nicht verkraften und sagte, dass er in sein Dorf zurückkehren wolle, um Rache zu üben. So tief saß sein Hass. Nach monatelanger Therapie ist er so weit, dass er seine Gedanken darauf richtet, seine Heimatstadt nach dem Krieg wieder aufbauen zu wollen.”

SOS Kinderdorf in Syrien

© SOS Kinderdorf Aleppo: Kinder in einer SOS-Nothilfe-Einrichtung

Sechs erschütternde Jahre

“Amnesty International” fordert angesichts der anhaltenden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Regierungen auf der ganzen Welt auf, “dafür einzutreten, dass die Millionen Betroffenen Gerechtigkeit erfahren und Entschädigung erhalten”.

Mit der im Dezember 2016 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Resolution sieht Amnesty einen Schritt in die richtige Richtung. Die Resolution fordert die Errichtung einer unabhängigen internationalen Stelle zur Unterstützung der Ermittlungen und zur Strafverfolgung der schwersten in Syrien begangenen Verbrechen seit März 2011.

“Sechs erschütternde Jahre später gibt es keine Entschuldigung mehr dafür, dass die furchtbaren, in Syrien begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ungestraft bleiben”, teilt Samah Hadid, Kampagnendirektor von Amnesty International in Beirut, in einer Aussendung mit. Hunderttausende Syrer seien ermordet worden, Millionen weitere vertrieben. “Den Regierungen stehen bereits die juristischen Werkzeuge zur Verfügung, um die Straflosigkeit zu beenden. Es ist an der Zeit, diese Werkzeuge zu benutzen”, sagt er.

Laut UN sind seit Beginn des Konflikts über 400.000 Menschen ums Leben gekommen, also ist mindestens einer von 100 Menschen in Syrien infolge des Bürgerkrieges gestorben.


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