Jetzt ist es offiziell: Der Austritts-Brief der britischen Premierministerin Theresa May ist angekommen. Damit beginnen die im EU-Vertrag vorgesehenen zwei Jahre, in denen die Details der Scheidung ausverhandelt werden müssen. Doch worüber genau wird ab sofort gestritten? Hier die fünf wichtigsten Punkte.
Neun Monate hat sich die britische Regierung Zeit gelassen, doch nun gibt es kein Zurück mehr: Am frühen Nachmittag traf Londons EU-Botschafter Tim Barrow in Brüssel EU-Ratspräsident Donald Tusk und übergab ihm die Scheidungsklage: Jenen von Premierministerin Theresa May unterzeichneten Brief, in dem sie der EU offiziell den Austrittswunsch Großbritanniens mitteilt. Er löst den in Artikel 50 EU-Vertrag vorgesehenen Prozess aus.
Zwei Jahre haben EU und Großbritannien demnach jetzt Zeit, ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts auszuhandeln. Danach gelten die EU-Verträge nicht mehr für das Land. Angesichts der komplexen Aufgabe, einen 40 Jahre lang zusammengewachsenen Rechtsraum zu entwirren, gilt das nicht als besonders lange. Es müssen Lösungen für jedes Thema von Fischerei bis zu Menschenrechtsverträgen gefunden werden. Britische Beamte sprechen von über 700 verschiedenen Feldern. Doch worüber wird am heftigsten gestritten werden? Fünf wichtige Punkte:
1. EU-Bürger in Großbritannien
3,3 Millionen Bürger anderer EU-Staaten leben derzeit in Großbritannien. Für sie bringt der Brexit große Unsicherheit, da es von der britischen Regierung bisher keinerlei Zusagen gab, ob sie auch in Zukunft noch dort leben und arbeiten dürfen. Die durch die EU-Personenfreizügigkeit mögliche Migration war Umfragen zufolge der wichtigste Grund für das Ja im Brexit-Referendum. Dennoch wird es hier wahrscheinlich eine Lösung geben. Denn auch London will, dass umgekehrt die rund 900.000 in der EU lebenden Briten bleiben dürfen. Jene, die nach den bisherigen EU-Regeln nach Großbritannien gezogen sind, werden also womöglich von neuen Immigrationsgesetzen ausgenommen sein. Die Frage ist für viele EU-Regierungen eine Top-Priorität bei den Austrittsverhandlungen.
2. Wie hoch ist die Rechnung?
Besonders heikel könnte es in den Verhandlungen werden, sobald es ums Geld geht. Nach Ansicht der Europäischen Union schuldet Großbritannien ihr nämlich noch ziemlich hohe Summen, die zugesagt, aber nicht bezahlt wurden. Eine genaue Zahl liegt noch nicht auf dem Tisch. Inoffiziell war bisher von rund 60 Milliarden Euro die Rede. Als er kürzlich danach gefragt wurde, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, das würde “in etwa hinkommen”. Manche Schätzungen aus EU-Kreisen sprachen auch von bis zu 85 Milliarden. In London hält man all diese Zahlen naturgemäß für viel zu hoch. Vereinzelt ist man dort auch der Ansicht, dass eigentlich die EU den Briten Geld schulden würde.
3. Zugang zum EU-Markt
Beim Thema der künftigen Handelsbeziehungen ist schon umstritten, ob es überhaupt vor dem Austritt geklärt werden kann – oder auf einen späteren Handelsvertrag verschoben werden muss. Großbritannien will unbedingt eine sofortige Lösung und beruft sich auf den EU-Vertrag, wonach das Austrittsabkommen auch die “künftigen Beziehungen zur Union” berücksichtigen soll. Die EU-Verhandler meinen, das gehe sich nicht aus. Handelsabkommen würden deutlich mehr Zeit brauchen. Auch inhaltlich könnte man nicht weiter auseinanderliegen: Zugang zum Binnenmarkt gebe es nur für jene, die auch die Personenfreizügigkeit akzeptieren, sagt Brüssel. Eine Ausnahme für Großbritannien werde es sicher nicht geben, das gefährde den Zusammenhalt der ganzen Union. Auch andere britische Ideen wie Ausnahmen für einzelne Wirtschaftszweige oder eine spezielle Zollunion werden abgelehnt.
4. Grenze zu Irland
Sehr sensibel ist auch die Frage nach möglichen Grenzkontrollen an Großbritanniens einziger Landgrenze, zwischen Nordirland und Irland. Kontrollen durch britische Beamte, wenn ein Ire oder Nordire in den anderen Landesteil reist, könnten dort alte Wunden aufreißen und den Friedensprozess gefährden, fürchtet man. Deshalb betonen sowohl die britische als auch die irische Regierung, dass sie das keinesfalls wollen. Es wird aber möglicherweise nicht so einfach sein. Wenn es keine Zollunion zwischen Großbritannien und der EU gibt, muss die Grenze jedenfalls kontrolliert werden. Nun wird nach technischen Möglichkeiten gesucht, das ohne sichtbare Grenzposten abzuwickeln.
5. Europäischer Gerichtshof
Theresa May hat den Briten wiederholt versprochen, dass der Europäische Gerichtshofs in Luxemburg (EuGH) nach dem Brexit keinerlei Einfluss mehr über Großbritannien haben wird. Das Gericht gilt dort als besonders unbeliebtes Symbol der EU-“Fremdherrschaft”. Zumindest für eine Übergangsphase nach dem Austritt scheint das aber so gut wie unvermeidlich. Solange kein Freihandelsvertrag ausgehandelt ist, könne es einen Zugang zum gemeinsamen Markt nur geben, wenn sich Großbritannien auch weiter der Autorität des Gerichtshofes unterwirft. Sagt die EU. Und auch ein späterer Handelsvertrag wird höchstwahrscheinlich irgendeine Form von Streitschlichtungseinrichtung vorsehen. Der britische Wunsch: Dieses Organ soll dann keinesfalls das Wort “europäisch” im Namen tragen.