Ottakringer Brauerei, Wien. Ein großer Blogger-Event, das Publikum ist jung, fesch, stylish und vorwiegend weiblich. Es gibt Vorträge über Networking, Shitstorms, Self Branding, Reichweitensteigerung – aber auch drei, in denen es um Ethik und Fair Play im Influencer-Business geht. Sie zählen zu den weniger gut besuchten Programmpunkten der Veranstaltung.
“Ethik und Fair Play”. Darüber redet man schließlich nicht ganz so gerne, wenn es um das Dasein als Influencer auf Instagram geht.
Auch in diesem Business zählen am Ende schließlich nicht alleine schöne Bilder, sondern harte Zahlen. Bezahlte Kooperationen mit Werbepartnern, Einladungen zu VIP-Events oder “Geschenke” (wie etwa exklusive Haarföhns im Wert von rund 400 Euro) gibt es nur, wenn man eine bestimmte Zahl an Followern und ein gewisses Engagement (also Interaktion in Form von Kommentaren und Likes für Postings) erreicht.
Das gelingt relativ easy – zumindest, wenn man sein Taschengeld clever investiert. Wer bei Google “Instagram Follower kaufen” eingibt, erhält bereits mit dem ersten Treffer ein scheinbar unschlagbares Angebot: 100 neue Follower gibt es um 3,99 Euro – also zum Preis eines großen Coffee-2-Go oder einer guten Filter-App. Das ist die Einstiegshürde. 1.000 Fans kauft man um 9,95 Euro, 10.000 kann man sich für 59,95 Euro leisten. Eine Million? Bekommt man bereits für 9.000 Euro.
Immer noch Peanuts, wenn man weiß, wie viel Geld auf Instagram verdient werden kann. Ab 10.000 Fans kann ein Influencer für ein Werbe-Posting etwa 100 Euro verlangen, ab 100.000 sind es bereits 1.000 Euro pro Foto. Damit ist das Anschubs-Investment bei vergleichsweise geringem Aufwand bald wieder eingespielt. Und sei es nur in Form einer brandneuen Fendi-Bag oder eines Paars Givenchy-Boots…
Andere Anbieter werben sogar mit einem “Executive Plan” für Instagram-Influencer: Für 20 Dollar pro Woche (umgerechnet 17 Euro) wird “organisches Wachstum” versprochen. Organisch, das bedeutet: Die Zahl der Fans wächst nicht innerhalb von zwei Tagen von 2.000 auf 20.000, sondern steigt kontinuierlich in die Höhe.
Ein Angebot, das überaus dankbar aufgegriffen wird. Denn urplötzliches, rasantes Wachstum wirkt verdächtig – und wird durch Tools wie “Socialblade”, die die Follower-Entwicklung im Jahresverlauf sichtbar machen, sogar für PR-Agenturen und Marketing-Leiter sehr leicht nachvollziehbar. Wozu Geld oder Geschenke in einen Influencer investieren, dessen 30.000 Follower zu einem Großteil gekauft sind – also kein echtes Interesse an den per Foto-Inszenierung beworbenen Produkte haben?
Instagram sind diese Machenschaften längst ein Dorn im Auge. Ende 2016 kam es zu einer großen Lösch-Aktion. Spam-Accounts sollten entfernt werden, quasi über Nacht verloren vermeintlich einflussreiche Influencer wie etwa die ehemalige “Germanys Next Topmodel”-Gewinnerin Vanessa Fuchs mit einem Schlag 53.000 Fans.
Bei österreichischen Instagram-“Stars” gab es damals keinen spürbar großen Einbruch der Followerzahlen. Am relativ kleinen hiesigen Markt, so schien es, war es offenbar nicht üblich, sich Reichweiten, Likes und Kommentare zu kaufen.
Das hat sich innerhalb eines Jahres drastisch geändert.
Österreich: Bei manchen Influencern sind mehr als die Hälfte der Follower “Fake”
Während “Socialblade” nur die ganz Patscherten entlarvt, lässt sich mit dem neuen Tool “Hypeauditor” ziemlich genau analysieren, wie sich die Follower einer Influencerin zusammensetzen. Der kostenpflichtige “Hypeauditor” wendet sich an die Marketing-Abteilungen großer Unternehmen und soll helfen, die tatsächlich wichtigen Paramenter wie “Engagement Rate” (also Qualität von Likes und Kommentaren) auszulesen. Aus welchen Ländern kommen die meisten Fans? Wie viele davon sind “echte” Menschen? Wie wird mit Beiträgen interagiert?
Das Ergebnis ist absurd. Nur ein Beispiel.
Dieser Influencer-Account aus Österreich hat aktuell rund 96.000 Fans. Die Betreiberinnen werden (auch dank dieser Zahlen) in die dritte Reihe von Fashion-Events wie die H&M-Fashionshow geladen. Wunderbar, gönnen darf man das jedem, tut ja keinem weh. Doch auch Werbekunden zahlen hier gutes Geld für Produktplatzierungen. Ein Grund also, sich die Zahlen genauer anzusehen.
Gepostet wird auf Englisch – insofern sind die hohen Follower-Zahlen aus den USA, Italien und Frankreich noch nichts, was Misstrauen erregen müsste. Interessant wird es bei der Zusammensetzung der “Audience”, also der Fans:
- Nur 38,5%, also 37.100 Fans, sind laut “Hypeauditor” “reale” Menschen mit echten Accounts.
- 3,5% der Follower sind andere Influencer. Hier könnte das Prinzip “Follow 4 Follow” vorliegen: Influencer organisieren einander in großen Like-Tausch-Gruppen etwa auf Whatsapp und informieren dort über jedes neue Posting. Dieses wird von den übrigen Gruppenteilnehmern sofort kommentiert oder geliked. So hilft man einander, das Engagement bei einzelnen Beiträgen wechselseitig hochzuhalten. Ein manikürtes Händchen, so das Prinzip, hilft dem anderen.
- 49,3% – und damit der größte Anteil – sind “Mass Followers”. Darunter fallen Shops oder Seiten, die von Instagram noch nicht als komplette Fake-Accounts oder Bots klassifiziert und deshalb nicht gelöscht wurden. Allerdings: “Mass Follower” geben dem Account zwar ein “Like” – dies aber auch mehreren 100.000 anderen Accounts. Die einzelnen Postings sind für “Mass Follower” nicht sichtbar. Bedeutet: Fast die Hälfte der Follower dieser Influencerinnen bekommt nicht mal mit, was die in ihrem Feed oder ihren Insta-Stories so treiben. Dieses Hintergrundwissen würde den Account für Werbekunden freilich hochgradig uninteressant machen.
- Weitere 8,7% der Follower sind “Suspicious Accounts”. Diese sind so “unecht”, dass sie Instagram sehr wahrscheinlich irgendwann filtern und löschen wird.
Mit einem Wort: Der wahnsinnig erfolgreiche Account hat am Ende zwar nicht komplett schlechte, aber relativ durchschnittliche 37.000 tatsächlich relevante Follower.
Sehen wir uns einen anderen Account an:
Der Reise-Blog auf Instagram besticht durch besonders schöne Fotos, was eine gigantische Follower-Zahl von 273.400 sogar nachvollziehbar macht. Doch auch hier setzt sich mehr als die Hälfte der Fans aus “Mass Follower” oder “Suspicious Accounts” zusammen. 8% stammen zudem aus Brasilien – einem Land, in dem sich relativ günstig Fake-Follower einkaufen lassen. Anders sehen die Statistiken der Bloggerin selbst aus. Ihre Follower stammen zu 17% aus Wien, 7% sind aus Bangkok, 5% aus Instanbul. “Selbst Instagram weiß nicht, woher alle User kommen. Nicht mal der Service selbst kriegt seine Bots in den Griff.”
Bei diesem Account werden ebenfalls Reise-Anbieter oder Lifestyle-Unternehmen wie Sonnenbrillen-Hersteller mit Foto-Postings beworben. Allerdings, so die Betreiberin dieses Insta-Accounts, habe sie ihre Follower niemals gekauft. Die hohe Zahl sei ihrer einstigen Rolle als “Instagram-Ambassador” zu verdanken. Das bedeutet: Das Netzwerk hat ihren Account (und den anderer auserwählter “Early Adopter”, die bereits sehr früh in dem Netzwerk aktiv waren) bis 2014 zwei Jahre lang gezielt gepusht und ihr damit zwischenzeitlich eine enorme Reichweite verschafft.
Geld sei dabei nicht geflossen, ein Erfolg wie dieser heute nur mehr durch Follower-Kauf reproduzierbar. Das käme für sie nicht in Frage, meint die Reise-Bloggerin. Ihr Fazit in einem (leider englischsprachigen) Beitrag: “Was am Ende zählt, ist nicht die Zahl der Follower, sondern echte Interaktion. Und die schafft man nur mit guten Fotos, also Inhalten.”
Online-Marketing-Experte Ritchie Pettauer: “Die Grenze zum Betrug wird munter überschritten!”
Der Kauf von Followern und Likes mag harmlos klingen. Ist es aber nicht, wie der Online-Marketing-Berater und Blogger Ritchie Pettauer (Datenschmutz.net) meint: “Wenn man in Gewinnabsicht wissentlich falsche Zahlen erzeugt und angibt, dann ist das ganz klar Betrug.” Der sich jedoch nach wie vor auszahlt: “Solange die Fake-Interaktionen für Analysten und Analyse-Tools nicht sofort offensichtlich als solche erkennbar sind, wächst die Blase munter weiter.”
Denn es scheint sich nicht um Einzelfälle zu handeln. Die genaue Analyse von 52 der größten Instagram-Accounts aus Österreich zeigt: Fast die Hälfte scheint mit Fake-Likes oder gekauften Kommentaren zu operieren.
Dass es auch anders geht, beweisen Accounts wie etwa die Bloggerin DariaDaria sowie die YouTuber MeineVersion, Michael Buchinger, KimLianne, Vicky Heiler, BerriesandPassion oder Maqaroon.
Die Follower dieser Influencer sind zwischen 80 bis 90% “echte Menschen”, der Anteil ihrer “Fake-Fans” ist gering. Eine Erklärung dafür liefert Joanna Zhou, der auf dem Insta-Account “Maqaroon” 115.000 Abonnenten folgen: “Wir produzieren auf unseren YouTube-Kanälen oder Blog kreativen, lustigen oder spannenden Content, der Leute begeistert. Mit diesen Inhalten gewinnen und binden wir echte Fans an uns – die uns dann in unsere anderen virtuellen Dependancen wie Instagram folgen und dort aktiv sind. Auch ohne, dass wir künstlich durch Geld Masse und Interaktion aufbauen müssen.”
Wer auf Instagram einzig sich und seine wechselnden Outfits präsentiere, der sei in der Masse der Accounts mit ähnlichen Inhalten schnell austauschbar. Dazu, so Joanna, fällt es schwer, alleine mit hübschen Fotos Fans dauerhaft an sich zu binden.
Es muss nicht immer sofort betrügerische Absicht hinter dem Kauf von Fans stehen – zumindest nicht im ersten Moment: Viele angehende Insta-Stars starten mal, kämpfen sich mühsam und organisch auf 10.000 Fans hoch. Doch dann hat die beste Freundin oder der Studienkollege auf einmal 20.000 Follower. Ein bisserl Schummeln für mehr Reichweite wirkt da zunächst nicht so schlimm.
Doch spätestens wenn das erste Mal ein Werbekunde anklopft und man merkt, dass damit Goodies wie Accessoires, tolle Events oder auch echter Cash abzustauben sind, wird die Verlockung, im großen Stil Fans und Kommentare einzukaufen, sehr groß.
Wenn das nächste Mal auf einer Blogger-Konferenz über “Ethik und Fair Play” gesprochen wird, dann sollte es vielleicht nicht nur um die rechtlich korrekte Kennzeichnung von Werbe-Postings auf Instagram gehen. Sondern verstärkt auch um eine klar nachvollziehbare und transparente Ausweisung echter Follower-Zahlen und Interaktionsraten.