“Meine Schwester hat Brustkrebs und ich habe Angst, dass sie stirbt.”


“Am liebsten berichtet man online über Erfolge, schöne Lebensereignisse und gute Dinge, die passieren. Über anderes spricht man nicht so gern, dabei wäre das mindestens genauso wichtig…” Mit diesen Worten teilte Michaela Wein einen sehr persönlichen Text auf Facebook, der mitten ins Herz trifft. Und der so nahe geht, dass wir ihre Worte unbedingt auch hier mit euch teilen wollten:

“Zuerst hab ich es relativiert. Sie hat erzählt, dass da ein Knoten ist, der untersucht wird. Ich hab mir gedacht “Okay, kein Problem”. Das wird schon. Dann war klar, dass es bösartig ist. Und selbst dann hab ich lange nicht verstanden, was das bedeutet.

Es gibt keine Worte dafür, was in uns vorgeht. Wir reden viel miteinander. Ich spreche fast täglich mit meiner Schwester. Mama weint am Telefon. Aber egal, wie viel wir darüber reden – wir sind allein mit unserer Angst. Meine Schwester am allermeisten.

„Sie haben es früh erkannt, das ist doch gut! Dann hat sie tolle Heilungschancen.“ Ich werde richtig aggressiv, wenn ich das höre. Ich sag es selbst auch. Um mich zu beruhigen, um meine Mitmenschen zu beruhigen. Aber immer, wenn das jemand zu mir sagt, möchte ich demjenigen in die Fresse hauen. Es ist nämlich trotzdem scheiße. Ihr könnt das nicht relativieren. Es ist scheiße. Punkt.

Meine Schwester ist 13 Jahre älter als ich. Als ich ein Kind war, hat sie manchmal zu mir gesagt, dass sie mehr darf als ich, weil sie ja älter ist als ich. Ich hab dann gesagt: Dafür stirbst du auch früher als ich! Das tut mir jetzt unglaublich leid. Das hab ich nicht so gemeint.

Manchmal denke ich mir, dass ich ein bisschen langsam bin. Ich brauche so lange, um solche Nachrichten zu begreifen. Ich hab lange mit meiner Schwester telefoniert, war optimistisch und hab das Ausmaß des Ganzen, um ehrlich zu sein, nicht ganz verstanden. Dann legen wir auf, ich mache irgendwas anderes – und fange eine Stunde später aus dem Nichts zu weinen an. Es hört gar nicht mehr auf.

Ob und wie sie es den Kindern sagen soll, fragt sie. Ich habe keine Antwort. Ich habe auf gar nichts eine Antwort momentan. Ich weiß nur, dass ich in ihrem Alter war, als unser Vater krank war. Ich habe so lange nicht gewusst, was er hat. Ich hab geahnt, dass etwas nicht stimmt. Aber ich war ein Kind, ich hab nicht darüber nachgedacht. Dann fiel das Wort „Krebs“ zum ersten Mal in meiner Gegenwart und zwei Tage später war er tot. Ich hätte es gern früher gewusst. Ich war nicht vorbereitet.

Wir glauben daran, dass alles gut wird. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es wirklich glauben oder daran glauben müssen.

Wir verstecken uns hinter Hausmitteln und guten Ratschlägen, WhatsApp-Nachrichten und Telefonaten. Wir lieben uns alle sehr, aber zeigen können wir das nur schwer. Wir haben alle nie gelernt, innig miteinander zu sein. Jede Nachricht in der steht, wie schlecht es geht, überfordert uns. Mama ist erstaunt, als ich ihr sage, dass ich mir auch schwer tue. „Dich belastet das auch?“ Ja, tut es! Überraschung.

Ich kann überhaupt nicht umgehen. Mit niemandem.

Dann denke ich mir zwischendurch: Come on, stell dich nicht so an. Du bist nicht die Erste, die von so etwas betroffen ist. Als dürfte man nur Gefühle haben, die auf den Erlebnissen anderer aufbauen.

Beim vor Monaten vereinbarten Frauenarzt-Besuch spreche ich es dann doch an und werde ein zweites Mal untersucht, zur Sicherheit. Es ist alles in Ordnung. Aber das Gefühl geht deshalb nicht weg.

Ich habe alle Deos weggeschmissen und aluminium-freie Varianten gekauft. Zur Sicherheit.

Dumme Menschen, die Ratschläge geben. Eine Bekannte meiner Schwester, die Ähnliches erlebt hat, macht ihr Panik. „Das ganze nächste Jahr kannst du komplett vergessen! Es wird schlimm!“ Meine Schwester ist zu höflich, um ihr zu sagen, dass sie still sein soll. Wir machen uns viel zu viele Gedanken, was die anderen über uns denken könnten. Dabei sind das einfach nur dumme und unsensible Personen, die so reden. Was genau bezweckt man damit, den anderen in Panik zu versetzen?

Vitamin D, viel Bewegung, Magenschoner, Perücke, Bücher, Haferbrei, Meditation, Tagebuch, Papayas. Tausend Ratschläge.

Auf den Beginn einer Chemotherapie zu warten, ist grausam. So viel Ungewissheit.

Nächstes Frühjahr fahren wir gemeinsam nach Berlin, um das Leben zu feiern. Das wird großartig.

Weiter Sorge um die Kinder. Ob das in Ordnung ist, wenn sich die Mutter so stark um sich selbst kümmert. Ich finde schon, dass es in Ordnung ist. Nichts ist gerade wichtiger als sie.

Ich bin zu Weihnachten nicht da, weil ich weg wollte, raus wollte, am anderen Ende der Welt am Strand liegen wollte. Ich hab ein schlechtes Gewissen. Ich sollte da sein.

Wir versuchen, zusammenzuhalten und uns Aufgaben abzunehmen, aber es ist wirklich schwierig. Ich bin überfordert. Das einzige, das wir gut können, ist, unsere Lieben mit Essen zu versorgen. Und guten Ratschlägen.

Spontane Heul-Ausbrüche. Ständige Niedergeschlagenheit. Man kann es aufs Wetter schieben, wie immer, aber vielleicht steckt doch mehr dahinter. Es fühlt sich komisch an, die ganze Zeit. Das Gefühl sitzt mitten im Bauch, nimmt den Appetit und die Luft zum Atmen. Es schnürt ein.

„Zuerst mein Mann, jetzt mein Kind“. Meine Mutter weint am Telefon. Ich kann dir nichts sagen, Mama. Zuerst mein Vater, jetzt meine Schwester. Wir sollten uns einfach noch viel mehr halten, als wir es schon tun.

Die Wochen vergehen, wir gewöhnen uns an die Situation. Chemotherapie-Zyklen, schwere Tage, Alltag, der sich einschleicht. Abgesehen von der Perücke merkt man nicht viel.

Alle haben so viel Redebedarf und ich werde immer stiller. So viel Information, die ich nicht verarbeiten kann.

Aufmunternde Worte, die immer gleich klingen. „Jetzt hast du es bald geschafft!“, „Nur noch zweimal Chemo!“, „Es wird alles gut!“. Ich fühle mich, wie ein Tonband. Völlig nutzlos.

Sorgen wegen der Chemo, Sorgen wegen der Operation, Sorgen wegen der Bestrahlung, Sorgen wegen dem, was noch kommen könnte. Dass der Mensch nicht anders kann, als sich von so einem Tumor das Leben diktieren zu lassen.

„Heute geht’s mir schlecht.“ – „Ja, ich hab das Gefühl, das Wetter schlägt allen aufs Gemüt, mir auch.“ „Bei mir liegt es an der Chemo.“
Manchmal bin ich ein Trampel.

Es gibt einen OP-Termin, das Hotel in Berlin ist gebucht und wir schmieden Pläne für den Sommer.

Meine Schwester hat Brustkrebs und ich hab das Gefühl, dass diese Tatsache noch immer nicht bei mir angekommen ist.”

Dieser Text erschien ursprünglich auf michaelawein.net, worauf die Beraterin für Online-Kommunikation regelmäßig über Medien, Bücher und Musik schreibt. Und eben auch über Dinge, die manchmal einfach raus müssen.

"Meine Schwester hat Brustkrebs und ich habe Angst, dass sie stirbt."

Thema: Brustkrebs
Neues aus dem Netzwerk
,

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *