Fünf Zentimeter pro Sekunde – das ist die ideale Streichelgeschwindigkeit. Wer verliebt ist, schüttet dieselben Hormone aus wie Menschen mit Zwangsstörungen. Und Männer küssen prinzipiell mit mehr Speichel als Frauen. Wissenschaft muss nicht immer eine ernste Angelegenheit sein. Das beweist auch der Wiener Molekularbiologe Martin Moder (scienceblogs.de/genau), 28. Vor zwei Jahren bereits gewann er den Science Slam Contest in Kopenhagen. Verkleidet als Fruchtfliege referierte er damals über seine Forschungsarbeit: Durch gezielte Veränderung einzelner Gene versucht er das Wachstum von Krebszellen bei den Zweiflüglern zu stoppen – und hofft, die Ergebnisse schließlich auch auf den Menschen übertragen zu können. Jetzt hat der Akademiker sein erstes Buch (“Treffen sich zwei Moleküle im Labor”, erschienen bei ecowin, € 24,-) veröffentlicht und beschäftigt sich darin auf sehr amüsante Weise mit Fragen rund um die Liebe und das Leben. Im WOMAN-Interview verrät Moder erstaunliche, spannende und teils auch sehr skurrile Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse rund ums Kennenlernen, Küssen, Streicheln und Verliebtsein.
Martin Moder im WOMAN-Talk (Fotocredit: Regina Courtier)
WOMAN: In Ihrem Buch “Treffen sich zwei Moleküle im Labor” erklären Sie Gefühle und zwischenmenschliche Emotionen aus wissenschaftlicher Sicht. Wie lautet denn Ihre persönliche Definition von Liebe?
Moder: Wenn wir akzeptieren, dass wir ein Produkt genetischer Informationen und biochemischer Prozesse sind, kann man Liebe als Hormoncocktail beschreiben, der das Fortbestehen unserer Art sichern soll.
WOMAN: Na dankeschön! Das ist jetzt aber schon sehr, sehr rational!
Moder: Was aber nichts daran ändert, dass es sich verdammt gut anfühlt und unserem Leben auch ein wenig Sinn geben kann. Nichts verliert seine Magie, nur weil man weiß, wie es funktioniert.
WOMAN: Doch, Zaubertricks zum Beispiel!
Moder: Stimmt, aber ich finde es umso spannender, herauszufinden, was die Natur einem mit bestimmten Empfindungen sagen möchte und welchen Sinn das in einem größeren Kontext hat. Das ist auf seine eigene Art und Weise schon auch sehr romantisch.
WOMAN: Fangen wir von vorne an: Was genau geschieht in unserem Körper, wenn wir jemandem zum ersten Mal begegnen?
Moder: In nur 200 Millisekunden entscheiden wir, ob wir jemanden als sexy empfinden oder nicht. Selbst mit einem Röntgenblick würde man da nicht viel von den inneren Werten mitbekommen, aber um die kann man sich ja auch noch später kümmern. (lacht) Zwei Hormone, die hier eine große Rolle spielen, sind das Testosteron und das Östrogen.
WOMAN: Angenommen, zwei gefallen sich. Wie geht’s hormonell dann weiter?
Moder: In der Verliebtheitsphase wird unter anderem ordentlich Dopamin freigesetzt. Das erzeugt Euphorie und wirkt im Hirn ähnlich wie Kokain: Man hat mehr Energie, weniger Hunger, kann sich besser konzentrieren und braucht weniger Schlaf.
WOMAN: Was passiert noch, wenn wir uns verknallen?
Moder: Der Serotoninspiegel sinkt – und zwar auf ein Level, das man sonst nur von Patienten mit Zwangsstörungen kennt. Die müssen oft ebenfalls zwanghaft an eine bestimmte Sache denken. Es gibt sogar Fälle, in denen man exzessive, fast krankhaft Verliebte mit Medikamenten behandelt hat, die normalerweise Depressiven verabreicht werden.
WOMAN: Was geht in uns vor, dass wir von der Verliebtheit dann tatsächlich auch in einer Beziehung landen?
Moder: Hier kommt Oxytozin, das sogenannte Kuschelhormon, zum Einsatz. Es fördert die Bindung zwischen zwei Menschen, beim Orgasmus zum Beispiel. Aber auch die Beziehung zwischen Mutter und Kind beim Stillen. Gleichzeitig steigert es aber auch die Intoleranz gegenüber Außenstehenden.
WOMAN: Heißt das also, wenn man verliebt ist, kann man nicht so gut mit anderen?
Moder: Das wäre durchaus denkbar und würde aus Sicht der Evolution sogar Sinn ergeben Es schweißt einen mit den Leuten zusammen, die einem dabei helfen, die eigenen Gene weiterzugeben, und schottet ein bisschen von denen ab, die dabei interferieren könnten. Was ich auch sehr spannend finde, ist das Monogamiehormon Vasopressin. Man hat in einem Versuch bei Präriewühlmäusen genau dieses Hormon unterdrückt. Normalerweise leben die Tiere monogam, kümmern sich um ihren Nachwuchs und verteidigen ihr Weibchen, wenn es von anderen bezirzt wird. Bei unterdrücktem Vasopressin stört’s die Männchen plötzlich nicht mehr, wenn das Weibchen fremdflirtet, sie selbst schauen sich dann auch um. Eine Studie aus Stockholm weist darauf hin, dass Menschen mit einer bestimmten Mutation im Vasopressinrezeptor besonders häufig Ehekrisen durchleben.
WOMAN: Kann man diese Hormone durch bestimmte Aktivitäten steigern und sich so etwa bewusst ver- oder entlieben?
Moder: Oxytozin gibt’s als Nasenspray, weil es auch Geburten einleitet. Und Serotonin schüttet man bei vielen Dingen aus, die Spaß machen. Dass man so Einfluss auf die Liebe nehmen kann, bezweifle ich aber. Man kann nicht ein Hormon auf eine Wirkung reduzieren, weil sie miteinander auch viel interagieren.
WOMAN: Eines der Kapitel in Ihrem Buch nennt sich “Wissenschaftlich kuscheln”. Wie streichelt man einander nun korrekt?
Moder: Ein schwedisches Forscherteam hat dafür einen Streichelroboter entworfen, der die Versuchspersonen am Arm gekrault hat – mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, Temperatur und Druck. Das Ergebnis: Am besten kuschelt man nackt und mit einer Geschwindigkeit von fünf Zentimetern pro Sekunde. Aber keine Sorge, man muss jetzt nicht gleich Stoppuhr und Lineal herausholen, weil man intuitiv meistens eh so streichelt, dass es sich für den anderen gut anfühlt.
WOMAN: Sie schreiben auch vom idealen Blickkontakt. Was hat es damit auf sich?
Moder: Da geht’s in erster Linie darum, wie lange man dem anderen in die Augen schauen kann, ohne dass derjenige das Gefühl bekommt, man starrt ihn an oder schaut dauernd nur weg. Die optimale Dauer liegt hier bei 3,3 Sekunden, plus minus 0,7 Sekunden.
WOMAN: Weiter mit einer der schönsten Sachen der Welt: dem Küssen! Was hat man in der Forschung darüber herausgefunden?
Moder: Dass Männer generell mit mehr Speichel und offenerem Mund schmusen. Wissenschafter spekulieren, dass dahinter der unbewusste Versuch steckt, etwas Testosteron auf die Frau zu übertragen, um ihren Sexualtrieb zu erhöhen. Was beim Küssen und auch beim Geruch eine große Rolle spielt: Man vermutet, dass man so abcheckt, wie sehr das Immunsystem des Partners sich von dem eigenen unterscheidet.
WOMAN: Warum ist das wichtig?
Moder: Wenn ich mich mit jemandem fortpflanze, dessen Immunsystem sich stark von meinem unterscheidet, kann der Nachwuchs mehr Krankheitserreger beseitigen. Auf den Oberflächen der Immunzellen sitzen sogenannte MHC-Moleküle, die benötigt werden, um Krankheitserreger zu entlarven. Je verschiedener die bei den Eltern sind, desto besser klappt das.
WOMAN: Ist das ein Plädoyer dafür, dass wir mehr schmusen sollten?
Moder: Unbedingt! Dafür spricht noch mehr als das biologische Abchecken des Partners! Bei einem ordentlichen Kuss werden Millionen an Bakterien ausgetauscht. Da kommt einiges zusammen, wenn man bedenkt, dass wir im Laufe unseres Lebens insgesamt rund zwei Wochen küssend verbringen. Je länger man in einer Beziehung ist und je häufiger man sich küsst, desto ähnlicher wird die Bakterienzusammensetzung auf der Zunge beider Partner. Küssen verbindet zwei Menschen also nicht nur emotional, sondern auch bakteriell. Klingt nicht wahnsinnig romantisch, zahlt sich aber doppelt aus: Denn abgesehen vom Bakterienabgleich reduziert Küssen Stresshormone und senkt das schlechte LDL-Cholesterin. Was wir übrigens auch öfter tun sollten: einander umarmen, weil auch davon unser Gesundheitssystem auf ähnliche Weise profitiert.
WOMAN: Das sind mal überzeugende Argumente! Welche Vorteile hat es eigentlich, wenn man weiß, wie die Liebe und alles Drumherum aus molekularbiologischer Sicht funktionieren?
Moder: Zwischenmenschlich nicht unbedingt viel. Die Wissenschaft kann kleine Teile komplexer Themen beschreiben. Wie aber alle Faktoren zusammenspielen, um uns ein paar Schmetterlinge in den Bauch zu zaubern, ist auf individueller Ebene schwer vorhersehbar. Vielleicht nimmt man bestimmte Dinge leichter, wenn man weiß, warum der andere zum Beispiel nach einer Zeit nicht mehr so überschwänglich oder euphorisiert ist. Weil sich eben das Zusammenspiel der Hormone geändert hat. Und ich habe den Eindruck, dass es bei einem Date besser ankommt, über die Biochemie der Liebe zu sprechen als über das Wetter.
WOMAN: Apropos Dating: Viele Paare finden sich heute über Apps wie Tinder. Gibt es wissenschaftliche “Verhaltensregeln”, mit denen man bessere Erfolge verbuchen kann?
Moder: Ja, durchaus! Das fängt bei der Wahl des eigenen Profilbildes an. Was gut ankommt: Wenn man in der Mitte einer Gruppe steht und die anderen um einen herum lachen und Spaß haben. Der Name sollte einer sein, der mit einem Buchstaben aus der ersten Hälfte des Alphabets anfängt – Studien haben gezeigt, dass sich die Chancen auf ein reales Treffen dadurch erhören. Wer in seinem Beschreibungstext dann auch noch auf die richtige Mischung achtet, hat gute Karten: Zu 70 Prozent soll man über die eigene Person schreiben und zu 30 Prozent darüber, was man sich vom anderen erwartet und wünscht.
WOMAN: In Ihrem Buch widmen Sie dem Penis immerhin sieben Seiten. Sie berichten zum Beispiel über Tintenfische, deren Gemächt sich vom Körper löst und dann mit einer winzigen Flosse zum Weibchen schwimmt, um es zu befruchten. Was ist das Erstaunlichste, das der menschliche Penis zu bieten hat?
Moder: Erstmal ist er unter allen Primaten der größte, sowohl in absoluter Länge als auch relativ zum Körper. Was außerdem faszinierend ist: die hutartige Form. Man vermutet dahinter einen sehr pragmatischen Grund. Sie eignet sich hervorragend dazu, Samen von Rivalen, die möglicherweise kurz davor zu Gange waren, zu entfernen. Forscher weisen außerdem darauf hin, dass sich auch das Sexualverhalten von Männern in einer Beziehung ändert, wenn sie bei ihrer Partnerin Untreue vermuten. Sie dringen dann mit größerer Stoßkraft ein. Das könnte ein unbewusster Mechanismus sein, um fremde Spermien zu verdrängen.