Wie die Schwangerschaft unser Leben beeinflusst


Nicht nur die ersten Jahre haben Einfluss auf den späteren Verlauf unseres Lebens, schon während der Schwangerschaft werden wir durch externe Einflüsse geprägt. Davon ist Dr. Franz Renggli aus Basel (Schweiz) überzeugt. Der heute 74-jährige Psychotherapeut ist während seiner Arbeiten in den 90er-Jahren auf seine eigenen Geburts- und Schwangerschaftstraumen gestoßen und hat sich seither auf die pränatale Psychotherapie spezialisiert. Pränatal heißt nichts anderes als „vor der Geburt“. „In meiner eigenen, praktischen Tätigkeit habe ich erfahren, dass alle heftigen Konflikte in unserem Leben ihre Wurzeln in der Schwangerschaft haben“.

Schwangerschaft Einfluss auf Persönlichkeit - pränatale Programmierung

Die Wichtigkeit der ersten 3 Schwangerschaftsmonate

Gestützt auf den Forschungsergebnissen des Engländers David Barker, konnte in den letzten 30 Jahren festgestellt werden, dass die Schwangerschaft von entscheidender Bedeutung ist, ob ein Mensch im späteren Leben dazu tendiert gesund oder krank zu sein, welche Krankheiten in seinem Leben auftreten, wie er altert und wie er stirbt. Die Medizin spricht dabei von der fötalen Programmierung. Vor allem die ersten 3 Monate der Schwangerschaft spielen dabei eine wesentliche Rolle: dann, wenn die Organe gebildet werden.

Embryo

Ein Baby im Bauch ist bei vollem Bewusstsein

Franz (er möchte auf Wunsch beim Vornamen genannt werden) arbeitet seit über 45 Jahren in seiner Praxis in Basel mit Erwachsenen, Kleinkindern und auch Babys. „Unsere Erinnerung beginnt ca. im 3. Lebensjahr – mit dem Einsetzen der Sprache“, erklärt der Baby- und Familientherapeut. Unsere Prägungen aber geschehen zu einem viel früheren Zeitpunkt, was für unsere bewusste Erinnerung nicht zugänglich ist. „Ein Baby im Bauch seiner Mutter ist bei vollem Bewusstsein – seit der Zeugung. Und die Geburt ist wahrscheinlich die intensivste Angsterfahrung im Leben eines jeden Menschen.“ Erinnern können wir uns an diese frühe Lebenszeit nicht. Die Spuren dieser Erfahrung sind laut dem Experten trotzdem in unserem Körper gespeichert. „Unser Körperbewusstsein vergisst nichts“, so der Therapeut.

Babys weinen die Tränen ihrer Eltern

Eltern, die bei Franz Hilfe suchen, kommen zum Beispiel mit ihren Babys, weil diese nächtelang bitterlich weinen und sich nicht beruhigen lassen oder weil sie nicht essen wollen. „Dabei gehe ich vom vollen Bewusstsein eines Kindes aus“, sagt Renggli. „Wenn ich Eltern in meiner Praxis nach dem Grund ihres Kommens frage, dann achte ich sehr genau darauf, wie das Baby auf die Erzählung reagiert: Wie lange ist es ruhig und zufrieden in den Armen des Papas oder der Mama und ab wann beginnt es unruhig zu werden oder gar zu weinen.“ Der Kinderpsychotherpeut macht den Eltern dabei Mut, dass sie ihr Baby mit seinen Tränen eine Geschichte „erzählen“ darf. Zuhause wird es ja meist in irgendeiner Weise beruhigt oder abgelenkt. Für Franz bedeutet jede auf dem Körper der Eltern geweinte Träne Heilung. Es sind nämlich die Tränen der Eltern, die das Baby weint. Verdrängte Trauer, Ärger oder Wut der Eltern wird auf das Baby übertragen. Und dieses kann sich nur mit Weinen ausdrücken. „Erst, wenn die Eltern fähig sind, ihre eigenen frühen Traumatisierungen, ihre verletzten Gefühle zuzulassen, dann schlafen die Babys meist friedlich in den Armen der Eltern ein“, erzählt der Therapeut. Dazu beschreit Franz ein Beispiel aus seiner therapeutischen Arbeit:

„Miriam ist zwei Monate alt als ihre Eltern mich wegen ihrer heftigen Schreianfälle aufsuchen. Der Vater erzählt mir in der Sitzung, dass er zu Beginn der Schwangerschaft ein enges Verhältnis mit dem ungeborenen Kind aufgebaut habe. Er hatte sich ursprünglich ein Mädchen gewünscht, doch dann erfahren, dass es ein Junge ist. Der Vater sprach häufig mit seinem Sohn und streichelte den Bauch der werdenden Mutter. Doch im 5. Monat der Schwangerschaft haben die Eltern erfahren, dass es ein Mädchen wird, worauf der Vater jeden emotionalen Kontakt zu seinem Baby abgebrochen habe. Diesen emotionalen Abbruch in seinem Leben hat der Vater schon mehrmals in seinem Leben erlebt. In der Sitzung erzählt er davon, dass er sich sehr dafür schäme. Während der Vater von seiner Geschichte berichtet, beginnt Miriam wie eine Sirene loszuheulen. Bei dem Versuch das Baby hochzunehmen, verliert es jede Kontrolle und ist außer sich. Ich erkläre dem 2-Monate alten Baby, dass sich der Papa nicht wegen ihr oder weil sie ein Mädchen sei, zurückgezogen habe, sondern, dass er solche Rückzüge schon ein paar Mal in seinem eigenen Leben ertragen musste und es für ihn schmerzhaft sei. Ich spreche mit dem Baby wie mit einem Erwachsenen. Ich erkläre Miriam, dass ihr Vater sie liebe und sie bei ihren Eltern geborgen sei. Das Baby kann sich sofort beruhigen.“

Schwangerschaft Einfluss auf Persönlichkeit - pränatale Programmierung

Reise in die eigene Schwangerschaft und Geburt

Der Fokus der pränatalen Psychologie liegt auf den traumatischen Erfahrungen, primär auf der Geburt. Otto Rank, ein Schüler Freuds, stellte schon 1924 die These auf, dass jeder Mensch bei seiner Geburt das größte Trauma seines Lebens erleide und ein Leben lang versuche, dies zu überwinden. Für Rank ist die Geburt somit der Universalschlüssel für alle psychischen Phänomene. Franz bietet daher nicht nur Traumheilung für Babys und Kleinkinder, sondern auch für Erwachsene. In einem dreitägigen Seminar machen jeweils 7 Menschen eine Reise in ihre eigene Schwangerschaft und Geburt. „Menschen kommen zu mir, weil sie immer wieder, vielleicht trotz jahrelanger Selbsterfahrung, in ähnliche Angstzustände und in alte Traumamuster fallen, denen sie hilflos ausgeliefert sind“. In den drei Tagen geht es vor allem darum im eigenen Körper zu sein und nicht zu erklären, welche Gedanken einen durch den Kopf gehen. Die Teilnehmer erzählen von den Dingen, die sie momentan belasten und beschreiben dabei, was die körperlich wahrnehmen. „Ich spüre einen Klumpen im Bauch“, „Mein Herz tut weh“, „Mein unterer Rücken schmerzt“. Dadurch kann man Dinge fühlen, die man bisher nicht wahrnehmen konnte.

Ich selbst habe im Dezember an einem dieser Seminare von Franz teilgenommen und möchte von einer Geschichte erzählen, die mir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist:

„Jakob ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der seit über 20 Jahren verheiratet ist und zwei entzückende Kinder hat. Trotzdem hängt über seinem scheinbar perfekten Leben eine depressive Stimmung. Ein Gefühl, das ihm vermittelt: Ich will gar nicht leben. Nur mit Hilfe von Coaching, Qi Gong und therapeutischer Begleitung konnte er dieses Gefühl bisher in Schach halten. In der Praxis erzählt Jakob davon, dass er als Baby im Bauch seiner Mutter fast gestorben wäre. Da der Gebärmutterhals das Kind von alleine nicht halten konnte, wurde dieser mit einer Schlinge verschlossen. Die Cerclage (Bezeichnung der Schlinge) wurde erst kurz vor der Entbindung wieder entfernt. Als Jakob von dieser Geschichte erzählt, strömen Tränen über sein Gesicht. In der Gruppe spürt er letztendlich, dass er sich als Baby vermutlich gegen das Leben entschieden hätte, doch er konnte den Bauch seiner Mutter nicht verlassen. Franz bittet ihn sich in der Mitte des Raumes auf einer Matratze hinzulegen und noch einmal zu fühlen, was mit seinem Körper passiert. Plötzlich entwickelt sich Jakobs Weinen zu einem kraftvollen Schrei. Er beginnt mit den Beinen zu treten und streckt seinen gesamten Körper durch. Sofort kommt mir das Bild von einem Baby in den Sinn, das versucht sich aus dem Mutterleib zu befreien. Zwischendurch beruhigt er sich wieder, atmet tief durch, um dann erneut eine Art „Geburt“ zu vollziehen. Jakob hatte im Seminar nun nach 45 Jahren die Chance sich zu befreien und damit sein frühes Traumata zu verarbeiten.“

In Dr. Franz Rengglis Buch «Das goldene Tor zum Leben: Wie unser Trauma aus Geburt und Schwangerschaft ausheilen kann» beschreibt der Psychotherapeut seine Arbeit und den heutigen Stand der pränatalen Psychotherapie. Erhältlich für Euro 18,50 bei Thalia.

Das goldene Tor zum Leben - Franz Renggli

Auf seiner Website www.franz-renggli.ch kann man einige seiner Artikel kostenlos lesen.

Franz Renggli - pränataler Psychotherapeut

Pränatale Therapeuten in Österreich

Mag. Barbara Jakel, Prä- und Perinatal orientierte Psychotherapie
www.barbarajakel.at

Michael Josef Egarter, PRAXIS für ganzheitliche Physiotherapie, Beratung und Selbst-Entwicklung
www.initiation.at

Dr.Dr. Gerhild Tanew, Psychotherapeutin und Sozialwissenschaftlerin
Bindungsanalytikerin, Supervisorin und Coach
Schule für frühe Prägungen
www.psychotherpeutin-wien.at

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